środa, 8 września 2010

pasażer/pasażerka

I (die reservierung)
sie wissen aber schon, dass sie hier ziemlich komisch sitzen?, fragte der schaffner, als er fahrkarten und reservierungen kontrollierte. natuerlich hatte der schaffner recht, aber wer zwang mich, meine fahrt in einem lauten zugigen grossarumabteil mit viel beinfreiheit und blick auf zwei klappsitze zu verbringen, waehrend neben mir ein russe mit langen haaren und lederjacke sass und in einem tuerkisfarbenen buch sass, dessen kyrillischen titel ich nicht entziffern konnte? ich bin aus deutschland, haette ich gern gesagt, da sucht man sich seine sitzplaetze lieber selber aus. ja, sagte ich dann nur, aber ich habe ja eine reservierung, zur not ziehe ich eben wieder um. der schaffner zuckte die schultern und schloss die tuer des abteils.

II (der handlungsreisende)
kurz hinter warschau kam der verpflegungswagen vorbei. der mann mir gegenueber versuchte mit einer mischung aus deutsch und englisch einen kaffee zu bestellen. ich uebersetzte "kaffee", "klein" und "gross", "euro" und "eins fuenfzig" ins polnische und zurueck. wollen sie vielleicht auch einen kaffee? fragte der mann. ich lehnte dankend ab und nahm meine zeitung wieder zur hand. wohnst du schon lange in deutschland, fragte der mann kurz darauf, meine hoffnung auf ruhe erfuellte sich also nicht, dafuer einmal mehr die erwartung, dass maenner vorzugsweise frueher als spaeter und stets vollkommen ungefragt vom du zum sie wechseln. doch wie immer fiel mir ein einfaches "ja" nicht ein. ich wohne schon lange in polen, sagte ich also. du siehst auch nicht aus wie eine polin, sagte der mann. habe ich gleich am gesicht gesehen. er sprach mit einem irgendwie arabischen akzent, aber ich sagte ihm nicht, er sehe nicht wie ein deutscher aus. was machst du da? fragte der mann. ich studiere geschichte, sagte ich also. geschaefte? frage der mann. geschichte, wiederholte ich. und? ist interessant? fragte der mann. ich nickte nur noch. ich habe nie geschafft, diese sprache zu lernen, sprach der mann weiter. brauche ich immer einen dolmetscher. ich mache geschaefte, weisst du, in polen. habe ich drei tage und drei naechte nicht geschlafen. hat der dolmetscher gesagt, vielleicht kannst du das, drei tage arbeiten ohne zu schlafen, aber ich kann das nicht. ich hoffte sehr, er wuerde mich nicht fragen, ob ich dolmetschen koenne. weisst du, was der unterschied zwischen diamanten und brillianten ist? fragte er stattdessen. die einen sind roh, die anderen geschliffen, sagte ich. ich wollte lieber nicht wissen, was das fuer geschaefte waren.
viva germania! rief der mann, als der zug in den bahnhof frankfurt oder einfuhr. alleluja!, dachte ich, als er am ostbahnhof ausstieg.

III (der provinzler)
selten war der zug so leer. wir waren nur zu zweit, da war es schliesslich naheliegend, ueber remarque und franzen ein gespraech zu beginnen, so dass am ende der reise keiner der beiden romane ausgelesen war. zwischendurch stellte sich heraus, dass das ruhrgebiet bei essen beginnt, dass duesseldorf aber bereits zum rheinland gehoert und es dort ein ganz nettes kulturangebot gibt, das sich unter anderem in der tatsache aeussert, dass koeln gleich um die ecke liegt. es klang fast so, als waere westdeutschland zuweilen doch ganz ertraeglich oder sogar wohnlich, nur warum dann trotzdem irgendwann alle nach berlin wollten, das verstand ich immer noch nicht.
in frankfurt oder stieg ein aelterer mann ein, er trug erwartungsgemaess schnauzbart, schiebermuetze und joppe und verstaute neben einer aldi-tuete einen aktenkoffer von beaengstigendem format auf der gepaeckanlage. in der aldi-tuete war eine familienpackung ariel color untergebracht, dem aktenkoffer entnahm der mann eine familienpackung kochschinken, aber weder die eine von zwei flaschen oettinger noch den billigen weinbrand mit dem so entfernt ans franzoesisch erinnernden namen, dass es sich nur um die hausmarke eines niederrangigen discounters handeln konnte. hinter der grenze zog er das telefon aus der tasche und sprach in einem selten gehoerten, seltsam langgezogenen dialekt hinein, sein gegenueber war aber offenbar nicht sehr gespraechig, also steckte der mann das telefon wieder in die tasche, verzehrte sorgfaeltig eine scheibe kochschinken nach der anderen aus der familienpackung, die offenbar reiseproviant und abendessen in einem darstellte, und blaetterte angelentlich in einem lidl-prospekt, den er ebenfalls seiner aktentasche entnommen hatte und der offensichtlich auch noch aus deutschland stammte. ab und zu ging draussen auf dem gang eine sehr blonde frau vorbei, die ihr schon ein wenig fortgeschrittenes alter mit hoehen stiefelabsaetzen, kurzem rock und tiefem ausschnitt kaschierte. die blicke des mannes folgten ihr stets von erstem bis zum letzten moment und hingen anschliessen noch ein wenig wie versonnen in der luft, bevor sie zu kochschinken und lidl-prospekt zurueckkehrten.
nach drei stunden fahrt zog der mann noch einmal das telefon aus der tasche, doch sein unsichtbares gegenueber war zwischenzeitlich nicht gespraechiger geworden. "es tut mir leid, wenn ich dich stoere, aber hier im abteil sitzen nur deutsche, ich kann mich mit niemandem unterhalten", sagte er ins telefon. in kutno stieg er aus, nicht ohne dem aktenkoffer zuvor doch noch eine der zwei oettinger-flaschen ausgerechnet in kutno, diesem so sprichwoertlichen idealbild der polnischen provinz, und wir waren mehr als ueberrascht, auch jene blonde frau in kutno auf dem bahnsteig stehen zu sehen, die die blicke unseres mitreisenden so unausgesetzt auf sich gezogen hatte. das gab inter der tat anlass zu vermutungen - aber wie berechtigt war die annahme, die kutnoer bahnhofsnutten wuerden nach berlin zur fortbildung fahren, waehrend die kutnoer ehemaenner gegenueber ihren hausfrauen puffbesuche mit waschmittelhamsterkaeufen in deutschland kaschierten. schatz, das ariel ist alle... - die provinz scheint ein ewiges raetsel.

IV (der rueckkehrer)
der mann, der in mein abteil kam, war nicht mehr ganz jung, wie man so sagte, auch war er uebergewichtig, er trug ein graues tshirt, graue jogginghosen, grauen socken, fast schon graue haare, vielleicht, dachte, sah er nur wegen der kleidung so schwammig form- und farblos aus. er roch ein bisschen wie ein meerschweinchen, dessen kaefig ein paar tage zu spaet gereinigt worden ist. mit dem deutschen schaffner sprach er ein sehr ordentliches englisch, von der wars-dame wollte er wissen, in welchen waehrungen man im bord-restaurant bezahlen koenne - euro und zloty, war die antwort, er hatte aber nur dollar. sowieso fand er die preise halsabschneiderisch ueberteuert, er blieb die ganze reise ueber im abteil. als der zug losfuhr, fragte er mich: wie die bahnhoefe in berlin hiessen, wie oft und wie lange der zug unterwegs hielte, ob grenzkontrollen waeren, ob wir polen inzwischen nur noch einen ausweis braeuchten, ja und wie das frueher doch mit den grenzkontrollen gewesen war... er liess mir kaum zeit zum nicken, er fragte weiter: wie man von warschau nach kielce kaeme, wen man da fragen muesse, ob ich schon laenger in deutschland lebte, ob ich da studierte, wie man in warschau so zurechtkommen wuerde, und ob man da arbeit faende - aber natuerlich, es war wie ueberall, entweder man fand arbeit oder nicht, da war jeder selber schuld - und ob in warschau auch so viele autos und so viele staus waeren. - er kam gerade aus kanada zurueck, erzaehlte er, und wer weiss, dachte ich, wieviele jahre er dort verbracht hat, er wirkte tatsaechlich ein wenig wie von einem anderen stern. europa muß ihm sehr fremd gewesen sein. schliesslich legte er sich schlafen, nach 24 stunden reise. ob er schnarche, fragte er mich zwischendurch, das taete ihm leid. ich laechelte freundliche und hoerte den rest der reise musik.

V (die auslaender)
beide sprachen englisch mit akzent, aber jeder mit seinem eigenen, obwohl es immer heisst, den spaniern wuerde es leicht fallen, die polnische sprache zu lernen, die aussprache waere tatsaechlich sehr aehnlich. es sah aus wie eine sommerliebe, die sich notgedrungen, aber zuversichtlich, der bewaehrungsprobe des ersten winters stellt, sie kam nach vier monaten zurueck, er fuhr das erste mal ueberhaupt in dieses land, und man konnte nur feststellen, dass sie sich keine bessere jahreszeit haetten aussuchen koennen als den november, der bekannt war fuer einen nur halbhoch haengenden grauen himmel, regen und schnee. doch der zug war beheizt und beleuchtet und geradezu heimelig, und der speisewagen zerstreute schliesslich alle zweifel: "a lot of wodka, a lot of beer - i'm going to like this country" sagte der spanier ueberzeugend, und seine freundin laechelte dazu, und dann stiegen sie aus.

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