niedziela, 18 kwietnia 2010

pogrzeb. przed.

dies hatte es noch nicht gegeben. eine solche katastrophe. aber auch diese massen in der innenstadt vor dem praesidentenpalast, diese horrend langen schlangen vor den saergen, diese menschenmassen entlang der trasse der trauerkonvois. dies hatte es noch nicht gegeben. unangemessen waere es, angesichts der getragenen feierlichkeit einer staatstraueratmosphaere von hysterie zu sprechen. freilich lag das wort auf der zunge und wollte nicht wieder verschwinden. was trieb die menschen immer und immer wieder vor den weissen klassizistischen bau, vor dem zwei granitene loewen wachten ueber die hoechste macht des staates, auf die ueberlaufenen gehwege und fahrbahnen der strassen im abgesperrten zentrum, was brachte sie dazu, tag fuer tag aufs neue fahnen, blumen, kerzen zu erwerben, die verbluehten und herunterbrannten, ohne das jemand davon notiz nahm, weil es viel zu viele von ihnen auf einmal gab? unangemessen waere es, bestuerzung, trauer und mitgefuehl in zweifel zu ziehen, doch liess sich ein letzter verdacht nie vollstaendig ausraeumen, ob nicht doch ein weiteres motiv unter vielen war, beizutragen zu eben jenem "dies hatte es noch nicht gegeben", zum ereignis des in trauer vereinten polnischen volkes fuer ein paar tage auf den titelseiten der internationalen zeitungen, zum phaenomen eines maertyrologischen patriotismus, das die soziologen diskutieren wuerden noch fuer einige zeit, als waere es zu schoen, um wahr zu sein, diese treue eines landes zu seinem einst so ungeliebten praesidenten, den menschliches versagen und unglueckliche, wenn auch an sich alltaegliche umstaende zu tode gebracht hatten. die anwesenheit an jenem ort, die verewigung des ereignisses auf hunderten fotoapparaten und kameras, das ausharren an kreuzungen und bruecken schien angesichts der katastrophe zur ersten buergerpflicht geworden zu sein, und sie wurde vorbildlich erfuellt.
nun schien der hoehepunkt bevorzustehen. waehrend die eine haelfte der polnischen bevoelkerung sich auf dem weg nach warschau befand, machte sich die andere haelfte auf den weg nach krakau. in endlosen schlangen standen die menschen auf den behnhoefen und kauften fahrkarten. vor den schaltern mussten sich zuweilen dramatische szenen abspielen, die zeitungen berichteten am rande davon. die pkp versprach den einsatz zusaetzlicher zuege auf den wichtigsten strecken. an litfasssaeulen und baeumen erschienen erste aushaenge, auf denen ausfluege zum praesidentenbegraebnis angeboten wurden, busfahrt, verpflegung und stadtfuehrer vor ort inbegriffen. beerdigungstourismus traf es also doch. natuerlich wurden die feierlichkeiten am sonnabend und am sonntag live uebertragen ins ganze land, aber konnte ein fernseher tatsaechlich das gefuehl ersetzen, dabeigewesen zu sein, es mit eigenen augen gesehen zu haben, berichten zu koennen aus allererster hand? es mochte sich um ein niederes motiv handeln, seine wirkung freilich schien ueberwaeltigend.
es war eine der seltenen gelegenheiten, in denen der plac piłsudskiego einen sinn erfuellte, der sonst nur eine grosse leere flaeche mitten im zentrum der stadt war. der sich einen halben kilometer gepflasterten granits zwischen sofitel, zeitgenoessischer zachęta und norman fosters metropolitana erstreckte und an dessen raendern das grab des unbekannten soldaten, marszałek piłsudski auf seinem sockel und auch das unter buergermeister kaczyński errichtete denkmal fuer die pilgerreise von johannes paul II. im jahre 1978 so laecherlich klein wirkten, waehrend all die mit schoener regelmaessigkeit aufkommenden plaene zum wiederaufbau des palac saski sich mit ebenso schoener regelmaessigkeit wieder von der tagesordnung verschwanden - heute zeigte sich, warum und wozu sich diese spielwiese fuer regenschauer und kalte winde mitten in der stadt befand. wo sonst haette man massenveranstaltungen ausrichten koennen, bei denen sich viele tausende schaulustige, die niemand so nannte, so medienwirksam versammeln konnten, was niemand so nannte?
der aufbau von altar, leinwand, bestuhlung, lautsprecheranlagen und entsprechenden sicherheitsvorkehrungen begannen schon am vortag. es gab oeffentliche und nicht oeffentliche sektoren, gepolsterte stuehle fuer die ehrengaeste, schutzgitter fuer die statuen und den springbrunnnen. es wurden bis zu einer million teilnehmer erwartet. die zeitungen druckten hinweise fuer die teilnahme an der veranstaltung: warme kleidung und regencape, proviant und thermoskanne, klapphocker, keine wertsachen, keine schusswaffen, kein alkohol. befuerchtet wurde das einsickern von diebesbanden in die hauptstadt, dagegen galt es sich zu schuetzen, handtaschen sollten tatsaechlich unter den haenden getragen werden in sichtweite an der vorderseite des koerpers und portemonnaies nur in sicheren innentaschen. flaggen und kerzen mitzufuehren war natuerlich unmoeglich zu verbieten, doch sollten grablichter erst nach den ende der trauerveranstaltung angezuendet werden, um niemanden zu verletzen. fuer auswaertige gaeste beschrieben die zeitungen getreulich die anfahrt vom bahnhof zum veranstaltungsort, gaben hinweise zu zimmersuche und verpflegung: die allermeisten geschaefte wuerden geschlossen bleiben, billig essen koenne man aber in den kebabs an der świętokrzyska, im mac donald's gegenueber vom pkin und in den zahlreichen bars in den unterfuehrungen des hauptbahnhofs. fuer die zeit der trauermesse war der verkauf und verzehr von alkohol untersagt. prohibition in einem slawischen lande - waeren die situation und die stimmung im lande nicht so ausgesprochen tragisch gewesen, man haette dahinter nur einen schlechten scherz vermuten koennen. es war tatsaechlich ein sonniger tag. ein wenig windig, zugegeben, nicht so warm wie manchmal sonst um diese jahreszeit, spaeter wuerden einige wolken verdaechtig dunkel nach gewitter aussehen, aber es blieb trocken. und trotz allem gaben flaggen und sonnenschein anlass, an ein volksfest zu denken. sonnenbrillen wurden ausgefuehrt, im kleiderschrank hatte sich eine rotweissgestreifte bluse gefunden, die sich mit einem schwarzen schal wie von selbst zu den derzeitigen nationalfarben ergaenzte, ein blickfang fuer jeden reporter. niemand machte ein foto.
die polizei vertraute auf den guten willen der bevoelkerung und fuehrte keine kontrollen durch. ueberhaupt wuerden die ordnungsorgane sich wie schon von anfang an zurueckhalten. praesent waren dafuer ueberall pfadfinderabordnungen. sie verteilten informationsblaetter mit lageplaenen, auf denen selbst die sonst rotgelbe warschauer syrenka schwarzgraue trauer trug, geleiteten senioren und seniorinnen fuersorglich zur naechsten parkbank und verteilten wasserflaschen. wasser, wasser, fragten sie wie verdurstende in der wueste. es war nicht warm genug, um wirklich durstig zu sein, irgendwann nahm man aus mitleid eine flasche.
urspruenglich hatten auf der grossen buehne die saerge aller sechsundneunzig opfer aufgebahrt werden, doch war auch nach einer woche die identifizierung aller fluggaeste noch immer nicht abgeschlossen. so wurde dieser programmpunkt geaendert. man konnte wohl zumindest dieses eine mal den umstaenden dankbar sein, doch offenbar bemerkte niemand den unangenehmen beigeschmack dieser art von voyeurismus und den verdacht von pietaetlosigkeit - makaber erschien die vorstellung, sechsundneunzig saerge durch die halbe hauptstadt zu fahren, um sie auf einer buehne wie zu einem freiluftkonzert aufzubahren und das alles anschliessend aus naechster naehe und in voller laenge im fernsehen zu uebertragen. natuerlich gehoerte der tod zum leben dazu, wovor der moderne, auf jugendlichkeit fixierte und vergnuegungssuechtige nur zu gerne die augen verschloss, aber war ein sarg, der immerhin die sterblichen ueberreste eines menschen barg, unter dem schuetzenden dach einer kirche nicht doch besser aufgehoben als unter dem blauen himmel und den flatternden fahnen vor dem einzigen warschauer hotel, das die nato-standards erfuellte, einem braunschimmernd verglasten kasten aus den hochzeiten des sozialismus? stattdessen wehte nun ueber der buehne mit dem altar ein riesiges plakat, das auf sechsundneunzig fotos die sechsundneunzig verstorbenen zeigte, ausnahmsweise einmal in durchwegs alphabetischer reihenfolge, nur die bilder des praesidentenpaares waren durch eine schmale rotweisse umrahmung herausgehoben. puenktlich wuerde die trauerfeier beginnen, hatten die zeitungen betont, und tatsaechlich heulten puenktlich um zwoelf die sirenen, wie sie schon um 8.56 uhr geheult hatten minutenlang, zum zeitpunkt der katastrophe eine woche zuvor. die masse erhob sich schweigend, sicherlich standen nun auch die autos, die busse und strassenbahnen still auf den strassen, eine weitere schweigeminute im land, zumindest in der hauptstadt, gesenkten blicks und mit gefalteten haenden, nun war zeit darueber nachzudenken, ob wohl in deutschland noch so viele sirenen in betrieb waren, um eine solche geraeuschkulisse zu erzeugen, was zweifelhaft schien. doch wuerde wohl niemand in deutschland lageplaene entwerfen, wo helfer mit handsirenen aufzustellen seien, damit das unablaessige heulen tatsaechlich ueberall zu hoeren waere.
die sirenen verstummten, die menge ruehrte sich, wer einen stuhl hatte, nahm platz. die nationalhymne erklang, die namen aller verstorbenen wurden verlesen, nun wieder nicht alphabetisch, soldaten salutierten. die stimme aus dem lautsprecher war viel zu laut. die reden begannen, die meisten waren an den praesidenten gerichtet. er war das herausragendste opfer, alle anderen sonnten sich in seinem licht und standen zugleich in seinem schatten. wer sprach, war nicht zu erkennen, die baeume waren zu gruen und die leinwand zu weit entfernt fuer mehr als raetselraten, doch die worte und die festigkeit oder bruechigkeit der stimme gaben getreulich auskunft ueber die politischen ansichten nicht des verstorbenen, doch des redners. die heilige messe begann ebenso puenktlich wie die trauerveranstaltung zuvor. raschelnde maentel, seufzen und zuweilen ein kippender klappstuhl begleiteten die liturgie. nicht der chor, sondern die duenne stimme einer aelteren frau ganz in der naehe jagten schauer ueber den ruecken. zwischen der dritten und vierten strophe verstummte beruhigenderweise auch sie. wer von euch ohne fehl und tadel sei, der werfe den ersten stein. es wurde kalt und ungemuetlich, und die grossen emotionen waren nirgends zu sehen. beim naechsten kirchenlied verliess erhob man sich schliesslich, passierte rennende hunde und rennende kinder und die schlangen vor den toi-toi-toiletten und machte sich verstohlen in richtung altstadt davon. mit rum oder mit sirpu, fragte der kellner, bei dem man heisse schokolade bestellte. bevor man antworten konnte, schnitt einem ein schulterzucken das wort ab: bis achtzehn uhr nur sirup.

1 komentarz:

  1. pogrzeb. przed.: beerdigung - vorher.
    pkp: staatliche polnische eisenbahn.
    sofitel: hotel.
    zachęta: galerie fuer zeitgenoessische kunst.

    OdpowiedzUsuń